Vortrag zum Oasetag der Realschule in Recke 2019 in Thuine

Katholisch - Was ist das?

Zum Thema dieses Vortrags

Nein, in diesem Vortrag geht es nicht um die leidige Frage bezüglich «katholisch – vs. evangelisch». Dazu ist schon viel zu viel – und oft nicht nur Gutes gesagt worden. Aber es geht schon um unseren «katholischen» Glauben.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, finde ich nicht. Denn neben dem katholischen Glauben und seinen Glaubensinhalten gibt es noch so etwas wie eine katholische Geisteshaltung. Beides ist nicht einfach dasselbe!

Diese Haltung zu entdecken, war das eine. Diese Haltung aber auch zu beschreiben und in Worte zu fassen, etwas ganz anderes. Und je länger ich über diese Schwierigkeit nachgedacht habe, umso mehr ist mir aufgegangen, dass genau das schon typisch katholisch ist: Eine Wirklichkeit zu erfahren, die größer ist als Worte beschreiben können. Dafür müssen wir katholisch in einem zweiten Sinne werden: Weit, offen und allumfassend.

«Katholisch» ist eine Geisteshaltung

Katholisch - mehr als nur eine Konfession

1. Katholische Erkenntnis
Katholisch? – Analytisch und synthetisch

Mein früherer Professor der Moraltheologie (Bruno Schüller – lange ist’s her) hat uns erklärt, dass es zwei verschiedene Arten der Erkenntnis gibt. Die eine – die analytische Erkenntnis – überlegt in der Moraltheologie, was alles verboten und erlaubt ist, betrachtet Gesetzestexte, stillschweigende oder ausgesprochene Verbote und kommt dann irgendwann zu grundsätzlichen Erkenntnissen. Mühsam.

Die andere Weise, dem Guten auf die Spur zu kommen, sei die synthetische Erkenntnis. Diese geht nicht in erster Linie über den Verstand, sondern ist spontan, intuitiv und ganzheitlich: So erkennt schon ein Kind, wenn es einem Tier aus einer bedrohlichen Situation hilft, dass es etwas Gutes getan hat. Auch dann, wenn das Tier sich nicht ausdrücklich bedankt oder eine Belohnung winkt. Gutes wird eben synthetisch erkannt. Vielleicht erkennen wir, was wir glauben, eher analytisch. Gleichzeitig inhalieren wir damit aber auch eine Haltung. Diese Haltung verändert uns – und lässt uns immer mehr und tiefer (und synthetischer) erkennen, was wir glauben.

Was Babys über die Liebe sagen können: Nichts.

Manche Menschen meinen, wir wüssten nur dann etwas, wenn wir auch das Gegenteil kennengelernt haben. Deshalb müsse es zum Beispiel auch das Böse geben: Weil wir sonst nicht wüssten, was denn «gut» überhaupt sei.
Das mag vielleicht für die Begriffe gelten – wir können Begriffe nur bilden, indem wir ihren Inhalt von anderen Realitäten abgrenzen. Aber das gilt sicher nicht für die Erkenntnis selbst: Ein Baby, das an der Brust der Mutter ruht, weiß, was Liebe ist. Es erfährt sie gerade. Es hat keinen Begriff davon, es hat noch nicht das Gegenteil kennengelernt und nicht verschiedene Menschen miteinander verglichen. Aber die Erkenntnis, dass es in diesem Moment geliebt ist, wird das Baby ein Leben lang prägen.

Schlichte Leute wissen manchmal mehr

In diesem Sinne möchte ich diesen Vortrag einmal auf eine andere Art und Weise angehen. Oft erklären wir den katholischen Glauben, indem wir Grenzen zu anderen Glaubensvorstellungen ziehen oder darauf hinweisen, wenn Vorstellungen unseren Glauben so verändern, dass wir damit nicht mehr dem Menschen und auch nicht mehr Gott entsprechen. Katechese ist (wie Wissenschaft zumeist) analytisch.
Jetzt wollen wir uns aber dem, was «katholisch» ist, auf eine andere Weise nähern. Warum? Weil bereits die Art, die Frage nach dem Wesen des Katholischem zu beantworten, etwas vom «Katholisch-Sein» beinhaltet. Im katholischen Glauben spielt nämlich eine intellektuelle Begabung (wie zum Beispiel die analytische Intelligenz) eine viel geringere Rolle als sonst in der Welt. Ja, wir glauben sogar, dass weniger analytisch vorgehende Leute manchmal mehr von Gott und den Menschen verstehen. Schlichte Leute «wissen» gelegentlich mehr.

Was also ist das Katholische? Welche Antwort können wir geben, ohne die verschiedenen Konfessionen (evangelisch, lutherisch, protestantisch, orthodox, katholisch-apostolisch, neu-apostolisch, alt-katholisch – usw.) zu analysieren?

2. Katholische Geschichte

Katholisch zu sein ist eine andere Denkweise! Wir lieben die Weite, die Fülle, die Einheit in der Unterschiedlichkeit!

Das spiegelt sich eigentlich in der ganzen Kirchengeschichte wider. Wer einen Schritt zurücktritt und die ganze Kirchengeschichte in den Blick nimmt, muss zugeben: Katholisch hieß immer schon, liberal, tolerant und weit zu sein.
Natürlich, da wird uns heute etwas anderes eingeredet. Aber die geschichtliche Realität belehrt uns eines Besseren: Wenn es Gruppen gegeben hat, die aus der Kirche ausgeschlossen wurden, dann waren das bis in die Neuzeit fast immer Radikale, Hardliner, Fundamentalisten und Engführer. Rechtsradikale genauso wie Linksradikale, Scharfmacher gegen abweichende Frömmigkeiten, andere Lebensweisen und sogar gegen andere Religionen.

Hans Conrad Zander erklärt in seinem vergnüglichen Buch «Eine kurzgefasste Verteidigung der Heiligen Inquisition», wie zwar der Staat große Ängste vor den Muslimen hatte und gewaltsam dagegen vorgehen wollte, die katholische Kirche aber ständig zur Toleranz, Geduld und zum Dialog aufrief. Was den Populisten der damaligen Zeit genausowenig gefällt wie den Populisten der Gegenwart.

Das jedenfalls gehört zum katholischen Wesen – auch wenn es in jedem Katholik, in jeder Zeit und in jeder Gruppe immer ein Kampf ist, sich diesem Ideal auch wirklich zu stellen. Dass die Kirche hier oft und in vielerlei Hinsicht versagt hat, ist kein Gegenargument. Wenn die Kirche in Teilen ihrer Weite und Toleranz verliert, erklärt sie das eben nicht zum Ideal, sondern nennt es beim Namen: Es war ein Verlust.
Die katholische Kirche, obwohl nur ein Teil des Ganzen, ist in ihrem Innersten Wesen «katholisch» – und umfasst daher tatsächlich das Ganze! Letztlich waren alle Splittergruppen, die sich von der katholischen Kirche getrennt haben, enger und kleinlicher als die Kirche. Eben nicht mehr «katholisch».

Die katholische Lösung der dritten Ordnung

Abspaltungen von der katholischen Kirche waren – aus Sicht der Kirche – immer eine Katastrophe. Nicht, weil damit Anhänger, Volksgruppen, Ländereien, Kirchenprovinzen oder Besitztümer verlorengingen. Sondern weil Menschen in der Abspaltung (auch «Schisma» genannt) die innere Weite aufgaben.
Deshalb bemüht sich die Kirche um alle Menschen, die kurz vor einer Trennung von der Kirche stehen oder bereits im Schisma leben. Immer wieder. Unermüdlich.

Diese immer wieder neu geführten Gespräche zum Beispiel mit der Piusbruderschaft werden der Kirche zwar oft als «Werbung um den rechten Rand» vorgeworfen. Aber es geht nicht um Rechts oder Links: Es geht um die innere Weite.
Jede Spaltung und Abspaltung ist zu vermeiden – das gebietet uns die Katholizität (und Jesus selbst); und so entwickelt die Kirche eine verblüffende Kreativität in Gesprächen, Kompromissen und Übergangslösungen.

Kompromisse bedeutet natürlich nicht, Abstriche an der Wahrheit zu machen. Aber durchaus Abstriche an der Disziplin: Um der Einheit willen dürfen Priester der Ostkirchen, die mit Rom wieder uniert sind, weiterhin verheiratet sein. Auch einzelne evangelische Pfarrer, die zur Kirche konvertieren, dürfen sowohl Ehe als auch Beruf weiterführen, wenn sie es wünschen. Priester und Gläubige, die aus einem Schisma heraus wieder die Einheit mit der katholische Kirche suchen, wird der Weg einfacher gemacht, indem sie möglichst viele ihrer Traditionen behalten dürfen. Dafür werden oft «Personalprälaturen» gebildet, die zahlreiche eigene Regelungen treffen können.

Berühmt ist dabei die Geschichte des dramatischen «Gnadenstreites» zwischen Jesuiten und Dominikaner im 16. Jahrhundert, die so hitzig aufeinander losgingen, dass sie sich schließlich gegenseitig exkommunizierten. Die sogenannten «Lösung dritter Ordnung» bestand darin, dass der Papst beide Parteien zu sich zitierte und ihnen unter Androhung der Exkommunikation befahl, dem Gegner nicht mehr das «Katholischsein» abzusprechen. Der Befehl war klar: Wer jemand anderes aus der Kirche rauswirft, fliegt selbst (salopp gesagt). Wie die inhaltliche Klärung im «Gnadenstreit» aussähe, würde der Papst bei Gelegenheit dann bekannt geben. Wir warten darauf bis heute.

Freude über die Verschiedenheit

«Katholisch» ist nicht einfach mit «tolerant» gleichzusetzen. Weil Toleranz ein zu missverständliches und zudem schwaches Wort ist. Missverständlich: Wir verwechseln oft Toleranz mit Gleichgültigkeit: «Jemand anderes mag doch tun, was er will, solange es mich nicht stört. Wenn er mich aber stört, dann muss er natürlich damit aufhören!» Toleranz dagegen meint im Ursinn des Wortes, die Andersartigkeit zu erleiden und auszuhalten. Also auch dann, wenn es mich stört. Zu schwach: «Katholisch» geht aber noch einen Schritt weiter:

Ein Katholik lebt im Bewusstsein, dass die Offenbarung Jesu nicht nur in der Bibel weitergegeben wird; sondern viel umfänglicher und lebendiger im Glauben der Kirche, im Leben der Gläubigen und Heiligen und Vielfalt der unterschiedlichsten Wege, Spiritualität und Formen in der Kirche. Das heißt für den einen Katholiken, dass er allein nicht wirklich katholisch sein kann – dafür bildet sein Leben, Beten und Wirken nur einen Ausschnitt. Katholisch ist man nur in der großen Gemeinschaft der Kirche, nur die Vielen in der Einen Kirche beinhalten das Ganze. Aber deshalb ist der Einzelne nicht unwichtig – im Gegenteil: Jeder Katholik weiß auch, dass selbst sein scheinbar so kleines Leben ein leuchtender Baustein des großen katholischen Ganzen ist.

Das ist zum Beispiel von den Kirchen der Reformation ausdrücklich abgelegt worden: Die Offenbarung finden wir allein in der Schrift – sola scriptura – und eben nicht im Leben der Kirche. Die Buntheit der Glaubenswege und der Menschen gibt es natürlich in allen Konfessionen; aber nur die Catholica sieht in deren Bewahrung eine theologische Bedeutung und eine Heilsnotwendigkeit.

Deshalb toleriert der Katholik die Verschiedenheit nicht – er freut sich darüber! Der Reichtum des katholischen Glaubens ist ein Hinweis und ein Vorgeschmack der himmlischen Fülle. Und auf Gott selbst.

Doch dieses «Katholisch-sein» ist bedroht. Nicht, weil wir zu einem Einheitsbrei verkommen, wenn wir uns ständig gegenseitig auf ein Mittelmaß zurechtstutzen. Sondern, weil wir die Bedeutung der Vielfalt vergessen und die Freude daran verlieren! Noch einmal: Das Katholischsein besteht nicht darin, dass wir bunt und verschieden sind, sondern darin, dass wir uns darüber freuen. Um selbst weit, offen und neugierig für Gottes Buntheit zu werden.

3. Verschiedenheit und Einheit

Bevor nun aber der Eindruck entsteht, die katholische Kirche sei einfach ein Sammelbecken für alles mögliche – und ich in den Verdacht gerate, eine Friede-Freude- Eierkuchen-Beliebigkeit zu predigen -, sollte ich vielleicht deutlich machen, dass klar zwei Ebenen zu unterscheiden sind.

Die christliche Religion ist im Grunde nichts anderes als eine gelebte Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch. Was wir über Gott sagen können, ist dabei nicht beliebig. Es ist nunmal dieser eine Gott, unverwechselbar, einmalig und alles andere als austauschbar. Er hat sich uns offenbart und sich in Jesus selbst ein Bild geschaffen. An Seiner Existenz oder Gottes Offenbarung etwas zu ändern, weil es mir nicht passt, wäre sicher keine Liebe.

Aber die Art, wie jeder Mensch in diese Liebesbeziehung tritt, ist immer eine neue und individuelle. Gott bleibt sich gleich, aber die Geschichte eines jeden Menschen mit Gott ist niemals wie eine andere. Der Charakter der Menschen ist verschieden, und somit auch dessen Art, diese Liebesbeziehung zu leben. Jeder kleidet sie zudem in andere Lieder, Zeichen, Gedichte, Gemälde und Gebete.

Meiner Erfahrung nach (und in diesem Fall spreche ich wirklich mal ganz persönlich von mir) haben Menschen zwar große Schwierigkeiten mit Frömmigkeitsformen, die ihnen fremd sind; haben aber überhaupt keine Berührungsängsten mit den eigenwilligsten Gottesbildern. Ja, sie zeigen sich regelrecht begeistert für noch so abstruse oder gar für einander widersprechende Glaubensaussagen. Katholisch ist umgekehrt: Wir glauben an den einen Gott – aber im Herzen eines jeden Menschen nimmt dieser Glaube unterschiedlichste Formen an. Und ruft unterschiedlichste Früchte hervor!
Reden wir an dieser Stelle ausnahmsweise nicht weiter über die Fragwürdigkeit inner-theologischer Diskussionen. Die Frage, was wir sicher über Gott wissen, in welchen Formulierungen wir Gott sicher wiederfinden und was eine grundsätzliche Haltung aller Geschöpfe diesem Gott gegenüber sein sollte, haben wir in hundert anderen Katechesen besprochen. Jetzt wollen wir uns der Freiheit des Menschen widmen, auf diesen Gott zu antworten.

Mit Leib und Seele, mit Herz und Verstand

Die katholische Weite

1. Mit Leib und Seele, mit Verstand und Intuition

Wenn es also darum geht, diesem Gott zu dienen, mit Ihm zu leben, zu kommunizieren, Ihn zu verherrlichen – und so weiter -, dann haben wir eine enorme Freiheit! Wir sollen sie nutzen – und beim jeweils anderen respektieren, ja, uns sogar über die unterschiedlichen Wege der Gottesbegegnung freuen!
In diesem Sinne sind wir erst dann katholisch, wenn wir auch wirklich alles, was den Menschen ausmacht, in das Lob Gottes einbeziehen. Vor allem dürfen wir den Leib nicht vergessen! Wie schnell urteilen wir über Leute, die einfach mehr Kniebeugen machen als wir, mehr wallfahren, öfter die Rosenkranzperlen durch die Finger gleiten lassen oder auf Knien die letzten Meter nach Fatima oder Santiago di Compostella pilgern. Das alles ist im Vollsinne Gebet! Nicht eine Vorstufe, nicht ein Gebet für geistig Arme, nicht eine Verrücktheit. (Sorry, wenn ich das so sage, aber ich habe wirklich sehr oft abfällig Bemerkungen in diese Richtung gehört). Es ist kein schlechteres Gebet, den steinigen Kreuzberg in Medjugorje auf bloßen Füßen zu besteigen und dabei den Kreuzweg zu beten, als in tiefster Innerlichkeit in einer Meditation über ein Pauluswort der Bibel zu versinken.

Das kat-holon, das Ganze betreffend, bezieht sich nicht nur auf leiblich-geistige Riten. Wir können singen, malen, musizieren, tanzen, reden, schauen und hören. Wertschätzen wir das!

Es ist schon arrogant, für üppige Kunstwerke in einer Kirche nur ein leises Gemurmeltes «So ein Prunk will Gott sicher nicht…» übrig zu haben. Ganze Generationen von Menschen haben auch darin ihre Frömmigkeit gefunden und ihre Gottesbeziehung ausgedrückt!

Ebenfalls ist nicht nur der ein guter Christ, der tief in das Verständnis von Schrift und Theologie eintauchen kann; manche hoch verehrte Heilige waren eher von minderen intellektuellen Fähigkeiten. Aber ganz offen in der Schau Gottes!
Informiert Euch ruhig mal über den Heiligen Giuseppe da Copertino (Hl. Josef von Copertino), der in seiner unübertroffenen geistigen Schlichtheit sogar zum Patron alle Studierenden wurde.

Ja, ich wage sogar zu behaupten, dass so mancher unscheinbarer Handwerker und so manche unauffällige Bauersfrau so manchen Theologen in deren Gotteserkenntnis um Längen voraus sind.

Innerliches und Äußerliches

Es ist richtig: Leibliches Gebet sollte in einer guten geistigen Haltungen wurzeln. Aber zugleich vergessen wir oft: Geistiges Gebet sollte ebenso unsere körperliche Haltungen verändern. Den einen Weg über die seelische Ertüchtigung zu gehen, hat dabei keinen höheren Wert, als den anderen Weg zu wählen, indem wir Gott durch körperliche Übungen näher kommen wollen. Denn letztlich ist weder das körperliche noch das seelische Tun voneinander wirklich zu trennen. Wer in aller Öffentlichkeit ein Kreuzzeichen macht, verändert dabei auch seine Seele, ob er das nun will oder nicht!

Es gibt aber dennoch eine Asymmetrie. Denn vor allem die streng-reformierten Kirchen legen großen Wert darauf, dem Gebet keine Äußerlichkeiten hinzuzufügen (diese Kirchen sind grau gestrichen, es gibt dort keine Bilder, Figuren oder Kreuzesdarstellung; auf dem Altar brennen keine Kerzen, nur eine aufgeschlagene Bibel bildet den Mittelpunkt des Gottesdienstes). Nichts soll von der Innerlichkeit ablenken; was zählt ist allein die innere Erhebung zu Gott. Ausgerechnet Protestanten aus eben diesen Kirchen berichten jedoch, dass sie ausgerechnet in katholischen Gottesdiensten mit ihren überquellenden Riten, Darstellungen, Formen Farben und Gerüchen (Weihrauch! Kerzen!) genau diese «erhabene Innerlichkeit» erfahren haben. Und wundern sich.

Wir wissen: Das Geistige, Seelische und Unsichtbare können wir Menschen kaum direkt anzielen. Das Körperliche, Handfeste und Sichtbare dagegen führt auch immer geistige Erhebung mit im Gepäck.

Ein ungleiches Paar: Albert und Bernadette

In manchen Predigten oder Vorträgen wähle ich zur Veranschaulichung ein besonders gegensätzliches Paar: Albertus Magnus und Bernadette Soubirous. Albert galt als einer der letzten wirklichen Universalgelehrten, von dem es hieß, dass er das gesamte Wissen seiner Zeit parat hatte. Er lebte und lehrte in Köln und war zugleich Philosoph, Jurist, Naturwissenschaftler, Theologe, Dominikaner und Bischof von Regensburg. Bernadette Soubirous dagegen? Nachdem ihr Maria in Lourdes erschienen war, wurde sie von einem Kommissar gefragt, warum Maria ausgerechnet ihr, dem offensichtlich «dümmsten Kind von ganz Lourdes» erschienen sein soll. Die Antwort Bernadettes: «Wenn es in Lourdes noch ein Kind gegeben hätte, das dümmer wäre als ich, wäre Maria sicher diesem Kind erschienen und nicht mir.» (So gesehen war das eine ziemlich kluge Antwort).

Worauf ich hinaus will, ist wohl inzwischen klar: Beide, Bernadette und Albert sind Heilige der Kirche. Grundverschieden, und doch: Beide sind große Heilige – hoch verehrt und weltweit bekannt. Sie sind beide Vorbild, Fürsprecher und Zeichen Gottes. Freuen wir uns also darauf, die Heiligkeit dort zu suchen, wo unsere moderne Leistungsgesellschaft vornehmlich Versager und Opfer vermutet! Das ist katholisch.

2. Katholische Moralvorstellung

Im Gegensatz zu vielen nichtchristlichen Zeitgenossen glauben wir Katholiken nicht an eine Moral. Wir machen uns darüber viel weniger Gedanken, als so manche glauben, und wir Priester predigen darüber seltener als uns vorgeworfen wird. Erst kommt die Erlösung – und dann (irgendwann) die Moral! Petrus hat in Rom nicht zuerst die miserablen Sitten dort kritisiert, sondern den Retter der Welt verkündet. Erst der Mensch, der Gott kennengelernt hat, Ihm näher gekommen ist und sich einer Liebe sicher sein kann, hat überhaupt die Kraft und den Mut, die eigene Bedürftigkeit richtig in den Blick zu nehmen.

Gute Werke zählen nicht, aber nützen

Luther hat es noch auf einen einfachen Gegensatz bringen können: Bei den Protestanten zählt allein die Gnade, die Gott uns zuwendet – und bei den Katholiken deren Handlungen. Doch dieser Gegensatz ist konstruiert und hat Luther schon damals viel Widerspruch eingebracht. Viel mehr stimmt: Die guten Werke zählen vor Gott überhaupt nicht. Keiner kommt in den Himmel, weil er eine bestimmte Anzahl von Kniebeugen, Kreuzzeichen oder Altpapiersammlungen gemacht hat. Aber: Durch jedes gutes Werk haben wir uns selbst ein wenig verwandelt. Gute Werke zählen nicht, aber sie nützen; denn sie verändern uns. Und darauf kommt es an: Auf das, was wir sind.

Der Himmel und die Hölle auf Erden

Wir Katholiken versuchen auch nicht, in den Himmel zu kommen, weil es in der Hölle so schrecklich ist. Himmel und Hölle sind überhaupt keine Orte, sie sind Zustände. Zustände der Seele eines jeden Menschen. – Und, noch wichtiger: Himmel und Hölle sind nicht nur Zustandsbestimmungen des Jenseits, sondern des Menschen hier und jetzt. Moral ist für einen echten Katholiken kein Punktesammeln für ein jenseitiges Konto. Moral ist eher eine Roadmap, um den Weg aus dem eigenen Schlammassel zu finden.

3. Authentizität ist eine Illusion

Gelegentlich wird Katholiken unterstellt, sie wären zumindest wenig authentisch; manche vielleicht sogar ausgewachsene Heuchler. Denn aufgrund ihrer vielen Riten, Rituale und Traditionen wären die Katholiken eher äußerlich anwesend und innerlich «ganz woanders». Dem können wir verblüffenderweise sogar zustimmen: Wir sind tatsächlich oft innerlich «ganz woanders». Aber das gilt für alle Menschen in jeder Religion und Konfession! Authentizität, die genau eine innere Regung auch nach außen tragen will, ist eine Illusion. Denn wir sind nie nur eine innere Regung. Wir sind immer ein Bündel aus vielen, mal mehr oder weniger entgegengesetzten Bestrebungen. In uns denkt es gleichzeitig an Gott und an den nächsten Kaffee oder Lottogewinn. Aber, was soll’s: So sind wir Menschen.

Wir Katholiken bemühen uns nicht, authentisch zu sein, weil wir gar nicht alle Regungen, die in uns sind, gleichzeitig verwirklichen können; zudem wären da auch definitiv einige nicht gute Regungen dabei. Nein: Wir wählen aus, welche Regungen wir verwirklichen wollen. Durch unser seelisch-körperliches Tun handeln wir so, wie wir sein wollen. Gerade das ist der Sinn der Moral: Sie lehrt uns, wie wir handeln sollen, wenn wir auf ein bestimmtes Sein vor Augen haben. Das gibt uns nicht die Moral vor. Wir wollen nämlich so sein, wie Gott uns gedacht hat.

Mit Leib und Seele, mit Herz und Verstand

Die katholische Weite

Weitere katholische Grundsätze - kurzgefasst
  • Wir Katholiken geben niemals einen Menschen verloren. Wir glauben, dass sich jeder Mensch zu jeder Zeit in jeder Situation noch zu Gott bekehren kann.
  • «Gott wohlgefällig zu leben» heißt immer, glücklich zu werden. Es gibt keinen Gegensatz zwischen einer erfüllten Moral und einem erfüllten Leben. Jede Moral dient dem Glück des Menschen.
  • Die Bibel ist nicht das Wort Gottes; Jesus ist das einzige Wort Gottes.
  • Die Bibel ist auch nicht 1:1 die Offenbarung Gottes, sondern das Echo, das die Offenbarung bzw. das Wort Gottes in den Menschen hervorgerufen hat.
  • Wir Katholiken gestehen jedem Menschen eine unermessliche Würde zu: Weil jeder Mensch Gott ähnlich ist. Vom ersten Augenblick seines Daseins bis zum letzten Atemzug.
  • Wir sind fest davon überzeugt, dass Gott selbst die Kirche gewollt und die Ämter darin eingesetzt hat. Aber jedes Amt ist ein Dienstamt; die ganze Kirche vom Papst bis Priester dient den Getauften, ihre Taufgnade zu entfalten.
  • Zentrum der Kirche und der Gesellschaft ist die Familie.
  • Wir erwarten keine politische Ordnungsmacht – sondern unseren Erlöser.
  • Worauf es ankommt, ist einzig und allein die Beziehung zu unserem Gott. Alles andere folgt daraus und erhält durch diese Beziehung eine Bedeutung.
  • In den Sakramenten begegnen wir Christus so, wie er auch seinen Zeitgenossen in Israel in seinem irdischen Leben begegnet ist.
  • Der heiligen Messe beizuwohnen und den Leib Christi zu empfangen (insbesondere am Sonntag), ist die Art und Weise, wie wir katholisch bleiben und immer neu werden. Im vollen Sinne des Wortes: In die Weite Gottes einzutreten und diesem Gott immer ähnlicher zu werden!

Worin wir uns unterscheiden

Gerade in der Diskussion an unser Schule kam oft im Anschluss diese oder ähnliche Ausführungen der Einwand, dass wir Katholiken mit einer solchen Auflistung überhaupt keine unterscheidbare Identität hätten. Sehen denn letztlich nicht alle Schulen den Wert eines Schülers in seinem Personsein begründet, und eben nicht in der Leistung? Wollen nicht alle Menschen das Beste für die ihnen anvertrauten Menschen? Haben nicht alle Menschen auf der ganzen Welt eine Moral und einen Glauben? Ist so gesehen nicht jeder ein bisschen katholisch?

Genau. Davon sind wir überzeugt: Die Grundzüge des christlichen Glaubens sind letztlich jedem Menschen in Herz und Verstand eingesenkt. Die Grundlage jeder Moral (die Empathie) ist uns durch unsere Abstammung von Gott mit in die DNA geschrieben. Nichts entspricht dem Denken, Fühlen und Streben eines jeden Menschen mehr als das, was wir soeben als «katholisch» beschrieben haben.

Deswegen wäre ist es eine Illusion zu glauben, dass wir ganz anders sind als all diejenigen, die entweder nicht römisch-katholisch, nicht christlich oder überhaupt nicht religiös sind. Ein solcher qualitativer Unterschied mag hier und dort existieren (zwischen einzelnen Personen, Einrichtungen, Institutionen oder gar ganzen Gegenden und Ländern); aber dann hängt er meist von den Personen und Charakteren ab, die dort tätig sind. Ja, eine konkrete nichtreligiöse Institution kann durchaus menschlicher sein als eine bestimmte katholische.

Das unterscheidend Katholische ist zwar immer und zuerst der Inhalt unseres Glaubens – und eben diese katholische Haltung, die innere Weite und Offenheit. Aber beides sieht man uns nicht sofort an – weder einem Katholiken persönlich, noch einer Schule, einem Krankenhaus, Kindergarten, Altenheim oder Ferienhaus.

Aber woher wir unser Ideal haben, woher wir die Kraft nehmen, es nicht zu verlieren und ob wir uns immer neu daran ausrichten – das unterscheidet uns schon spürbar von denen, die nicht aus den gleichen Quellen leben wie wir.

Natürlich: In besonders wirren Zeiten ist es einfach, wesentlich Katholisches auf den ersten Blick zu erkennen.

In Zeiten, in denen die Würde des Menschen am Anfang und Ende des Lebens geleugnet wird oder gar im Namen dieser Würde Abtreibung und Sterbehilfe praktiziert werden, dürfte zum Beispiel ein katholisches Krankenhaus keine Mühe haben, sich zu unterscheiden. In diesen Zeiten ist es zwar besonders mühsam, katholisch zu sein – die Frage, was denn nun typisch katholisch ist, ist dagegen umso leichter zu beantworten. Oder sie stellt sich schon gar nicht mehr. In Zeiten, in denen aber selbst Katholiken nicht mehr sicher sind, was denn nun noch gilt, muss allerdings sehr viel Sorgfalt darauf verwendet werden, den ganzen katholischen Glauben klar zu formulieren und zu bewahren. Das aber ist – wie gesagt – ausnahmsweise nicht Thema dieses Vortrags.

1. Die Begründung unseres Glaubens

Den anderen und fremden Menschen mit offenem Wohlwollen zu begegnen, ist kein Ideal, dass die Katholiken erfunden haben. Aber die Frage, warum wir das durchhalten sollen, wenn der andere uns zum Beispiel nicht genauso begegnet, wird ein Katholik anders beantworten: Weil Jesus es genauso gemacht hat. Weil nicht der Gesunde, sondern der Kranke den Arzt braucht. Deshalb gibt es die Kirche: Sie verwaltet die Heilmittel Gottes! – Nicht die Haltung allein ist unser Merkmal, sondern auch der Grund, warum wir davon nicht lassen wollen.

Wir wissen eben nicht aus statistischen Erhebungen oder soziologischen Erkenntnissen, ob jeder Mensch immer eine neue Chance verdient hat. Dass wir niemals einen Menschen verloren geben dürfen. Dass jeder Mensch einen unschätzbaren Wert hat. Ja, wir können noch nicht einmal sinnvoll von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen reden, wenn wir uns nicht den katholischen Blick Gottes auf die Menschen aneignen. Erst, indem wir uns darum bemühen, werden wir so, wie Gott uns gedacht hat.

2. Die Kraft unseres Lebens

Und noch mehr: Katholiken unterscheiden sich nicht nur in der positiveren Sicht des Menschen und deren Verankerung in der Ebenbildlichkeit. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, woher ich die Kraft nehme, diese Zuversicht nicht zu verlieren. Nun, damit kommen jetzt endlich die Quellen auf den Tisch, die anderen als erstes einfallen würden, wenn wir von «typisch katholisch» sprechen würden. Nämlich die gelebte Gottesbeziehung, das persönliche und gemeinsame Gebet, den Gottes- dienst, die Eucharistie und die Beichte.

Es gibt Katholiken die behaupten, ein Krankenhaus ohne Kapelle und dortiger Messfeier könne kein katholisches Krankenhaus sein. – Oder eine Messdienerstunde, in der nicht gebetet wird, habe mit dem Glauben nichts zu tun. – Oder ein Unterricht, der nicht mit einem Gebet beginnt, sei nicht wirklich katholisch.

Das ist natürlich Humbug. Allerdings stimmt schon: Eine Institution, die sich zwar katholisch nennt, in der aber weder die Einzelnen noch alle gemeinsam ihre Wurzeln in einer lebendigen Gottesbeziehung haben, wird nicht lange katholisch bleiben.

Zum Ziel und Weg gehört auch die Sicherstellung der nötigen Kraftquellen. Das persönliche und das gemeinsame Gebet. Mit Leib und Seele. Und der gelebte Glaube daran, dass die Eucharistie «Quelle und Höhepunkt» unseres Glaubens ist.

3. Ständige Erneuerung unserer Liebe

Und eine letzte Eigenheit macht das Katholische aus: Das Bewusstsein, dass keiner perfekt ist und sich gar nicht erst bemühen muss, so zu wirken. Gerade die unbequeme Rede vom «Sünder» ist sehr entlastend, wenn es gilt, sich selbst zu «evaluieren». Denn nichts anders tut ein Katholik jeden Abend, in jeder Heiligen Messe und jeder Beichte. Ein guter Katholik schämt sich nicht, Fehler zu erkennen und einzugestehen. Eine wesentliche Voraussetzung für Fehlerkorrekturen!
Nicht nur in der Erkenntnis von Fehlern, sondern auch im Umgang mit eigener Schuld dürften beichtende, eucharistiefeiernde und betende Katholiken deutlich umkehrbereiter sein – und offener für die Freundschaft mit anderen Sündern (auch aus der Erkenntnis heraus, dass es keine anderen Menschen gibt). Das mag uns heutzutage vielleicht nicht so auffallen. Vielleicht liegt es daran, dass es immer weniger beichtende, eucharistiefeiernde und betende Katholiken gibt. Seien wir einer von ihnen!

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