Oasetag am Heiligen Meer (2023)

Oasentag am Heiligen Meer – «Glauben ist Beziehung»

Ideen, Anregungen und Bilder: E. Müller, B. Schulte-Kohne, P. van Briel

In diesem Jahr (2023) waren wir mit dem Oasetag in Obersteinbeck unterwegs. Zwar begannen wir wie jedes Jahr mit dem Frühstück in Halverde, nach einem Vortrag dort ging es dann aber ersteinmal nach Obersteinbeck.

Vom «Hof Witthake» ging es zu Fuß zum Heiligen Meer. Auf dem Weg und während des Rundgangs durch das Naturschutzgebiet gab es zahlreiche Anregungen für die Kollegen, das zuvor Gehört mit dem eigenen Leben in Bezug zu setzen. Anregungen durch Spruchkärtchen, Psalmenworte und eigene Gedanken wurden in einem persönlich adressierten Briefumschlag gesammelt, der am Ende des Schuljahres den Lehrer:innen zugeschickt wird.

Mit freundlicher Unterstützung schloss der geistliche Teil am Heiligen Meer mit Kaffee und Kuchen, der uns von Mitglieder der Familie Witthake naturgemäß mit dem Fahrrad gebracht wurde.

Anschließend war das Kollegium und weitere Gäste zu einer Heiligen Messe im Garten der Familie eingeladen; daran schloss sich die Verabschiedung von Frau Witthake an, die nach langen Jahren ihren Dienst als Sekretärin vor allem der Fürstenbergrealschule mit dem heutigen Tag beschließen durfte.

Vorbemerkung zu den Oasetagen

Warum gibt es die Oasetage – und warum in dieser Form?

Am Anfang stand die Aussage vom damaligen Generalvikar Norbert Köster bei der Informationsveranstaltung im Franz-Hitze-Haus, dass das Bistum Münster mit seinem vielfältigen sozialem und kulturellen Engagement in Schulen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Altenheimen, Kindergarten und dem großen Bereich der Caritas in Zukunft deutliche Abstriche machen muss. Diese sollen aber nicht im Rückzug aus einer Sparte, sondern in einer gleichmäßigen Reduktion durch alle Bereiche hinweg geschehen. Einziges Kriterium für den dauerhaften Erhalt einer Institution in der Trägerschaft des Bistum sei dessen katholisches Profil.

Durch die QA (=Qualitätsanalyse) wurde dieses Profil an unserer Schule geprüft und in mehrfacher Hinsicht als ausbaufähig bezeichnet. Angemahnt wurde einmal die Vernetzung aller Lehrpläne mit dem katholischen Religionsunterricht, zum anderen die Fortbildung und Entwicklung des katholischen Profils im Kollegium.

In Anlehnung an die Forderung, das katholische Profil zum Gegenstand von Fortbildungen (auch externe) zu machen, entstanden die Oase-Tage, da mit der Förderung des katholischen Profils auch ein zusätzlicher Fortbildungstag gewährt wurde.

In einer exemplarischen Fortbildung ausgewählter Schulen in Bentlage (daran nahm sowohl die Fürstenberg-Realschule als auch das Fürstenberg-Gymnasium teil), bat uns die Schulabteilung, Entwürfe für die Ausprägung des katholischen Profils zu entwickeln. Vorgabe war, dass der Schulträger Sorge für die theologische und spirituelle Stützung des Kollegiums trägt – in Einbeziehung der Schulseelsorge.

So ist der Gedanke eines «Oasetages» nicht ausreichend, wenn er sich nur auf die spirituelle Nahrung beschränkt, es geht auch um die Selbstauskunft des Trägers, was er unter seiner eigenen Identität versteht.

Deshalb besteht der Oasetag der Realschule aus zwei Teilen: Einmal wird in Vorträgen das Katholische aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet; zum anderen wird ein Angebot gemacht, Aspekte der katholischen Identität im spirituellen, kreativen Tun umzusetzen und zu entdecken.

Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, dass Eltern, Schüler und Lehrer in ihrer persönlichen Überzeugung und Gebetsleben ein ausreichendes katholisches Profil erkennen lassen. Es geht darum, ob die Einrichtung dem Anliegen des Trägers nachkommt, für eine ausreichende Unterstützung der persönlichen Überzeugung und Spiritualität zu sorgen.

Entsprechende Angebote haben also nicht das Ziel, das katholische Profil der Schule zu schärfen (durch eine entsprechende Formierung der dort agierenden Personen), sondern sind das katholische Profil der Schule.

Praktischer Teil: Geistliches am Heiligen Meer

Sechs Stationen

Gott wünscht sich nichts sehnlicher, als mit uns in Beziehung zu treten – und uns dadurch beziehungsfähig zu machen. Zu Ihm, unseren Gott, aber auch zu unseren Mitmenschen. Auch zur Natur: Den Tieren, Pflanzen, Landschaften und Elementen.

Nur wenige Orte in unserer Nachbarschaft eignen sich zu einer zu umfassenden Erfahrung wie das «Heilige Meer».

Station 1:  Baum

Wir sehen einen Baum. – Er steht alleine! – Wo stehst du? – Was oder wer ist um dich herum? – Was gibt dir Halt?

Ist dein Standpunkt gut? – Hast du alles, was du brauchst?

 

Lass dich anregen von den Fragen und dem Spruch auf der Karte und notiere deine Gedanken und Antworten – gerne auch auf dem einem weiteren Zettel.

 

Stecke die Karte und den Zettel in einen Briefumschlag und beschrifte ihn mit deiner Adresse. (noch nicht zukleben!)

Er wird dir am Ende des Schuljahres zugeschickt.

 

Station 2:  Was wäre alles möglich?

Wir blicken in die weite Landschaft – hier scheint vieles möglich!

Welche Projekte würdest du gerne meistern? Was möchtest du errichten, bauen, schaffen? – Stell dir vor, es wäre einfach alles möglich – beruflich wie privat. – Wie wäre dein Traumschloss, dein perfekter Arbeitsplatz, deine rosige Zukunft? – So kann einfach alles so bleiben, wie es ist?

 

Notiere deine Gedanken ebenfalls und stecke den Zettel mit in den Umschlag.

 

Station 3:  Weg (Führung)

Hier öffnet sich eine neue Tür/ ein Tor für dich! Wohin wird der Weg führen?

Brauchst du Führung auf dem Weg? Lässt du dich führen? – Wie fühlt sich das an, geführt zu werden? – Wie ist das in deinem Leben? Lässt du dich führen und wenn ja, von wem? – Woran orientierstdu dich bei Unsicherheit?

Führt euch gegenseitig über den Weg. Wie ihr euch führt, bleibt euch überlassen.

Schreibe am Ende deine Gedanken zur „Führung“ auf und steckt den Zettel ebenfalls in den Umschlag.

 

Station 4: Lob der Schöpfung

An der Wiese / Blick auf das Meer wird das Lob abschnittsweise vorgelesen.

(Einzelne Verse des 104. Psalms werden verteilt)

Wofür bist du dankbar? Was oder wen möchtest du loben?

Schreibe deine Gedanken auf die Rückseite deines Bibeltextes und lege den Zettel in den Briefumschlag.

 

Station 5: Steine

Nicht alles in unserem Leben ist gut, lobenswert. Nicht auf alles sind wir stolz. Einiges liegt uns auch schwer wie ein Stein auf der Seele.

Wir laden euch ein, einen Stein in die Hand zu nehmen und die Dinge, die ihr los lassen oder los werden wollt, auf den Stein zu schreiben und anschließend ins Wasser zu werfen. Alternativ könnt ihr auch – beim Halten des Steins in euerer Hand – die Dinge in den Stein „wünschen“ und ihn dann ins Wasser werfen.

Im Anschluss dürft ihr gerne „romantische“ Bilder vom Meer oder allem drum rum machen. Elke freut sich auf eine bunte Bildergalerie.

 

Station 6:  Gute Aussicht – Wünsche für den Weg

Zum Abschluss darf jeder einen Zettel aus der Box ziehen.

Gerne darf der Zettel behalten, oder auch mit in den Briefumschlag gelegt werden.

Vortrag zum Thema «Glauben ist Beziehung»

Der Glaube an Gott: Das Vorbild aller Liebesbeziehungen

Es ist schon faszinierend: Vergleicht man Glauben und Religion mit Liebe und Beziehung, so finden sich immer wieder Anknüpfungspunkte, die plötzlich erhellen, was zuvor recht verwirrend klang. Eine Beziehung zu einem Freund, eine Liebesbeziehung oder eine Partnerschaft – da kann sich jeder etwas darunter vorstellen. Jeder weiß um die Voraussetzungen, die dazu nötig sind.
Glauben und Gottesbeziehung sind uns aber in großen Teilen fremd geworden – und so ist es durchaus hilfreich, das Zwischenmenschliche zu nehmen um dadurch das Übernatürliche zu veranschaulichen.

Bevor ich nun ein paar der Fäden aufnehme und entwirre, muss ich allerdings eingestehen, dass in Wirklichkeit nicht die Gottesbeziehung ein Abbild der menschlichen Beziehung ist – es ist vielmehr umgekehrt. Die eigentliche, ursprüngliche und intensivste Liebesbeziehung ist die göttliche. Unsere menschlichen Beziehungen sind nur ein Bild dessen, was Gott tut (das ist schließlich gemeint, wenn es im Schöpfungsbericht heißt: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, als sein Abbild schuf er sie“).

Ich bin fest davon überzeugt, dass derjenige, der eine lebendige und offene Beziehung zu Gott hat, dort für menschliche Partnerschaften viel mehr lernt und begreift als jemand, für den Glauben nur eine intellektuelle Überzeugung ist. Aber das ist nur so ein Gedanke – für das Folgende spielt er keine große Rolle.

Liebe ist Glaube

„Wenn ich mich dazu durchringe, an Gott zu glauben – dann ist das aber etwas ganz anderes, als einen Menschen zu lieben: Den Menschen kann ich sehen – Gott ist unsichtbar.“ – Das ist korrekt. Aber einen Menschen zu lieben setzt ebenfalls Glauben an Unsichtbares voraus.

Wenn Du von vorne herein sagst: „Es gibt keine Liebe; das sind alles nur biochemische Vorgänge im Gehirn oder bei den Hormonen“ – dann kann Dir keine Frau, kein Mann und kein Gott beweisen, dass es wahre Liebe gibt.

Ich habe vor einigen Jahren einige Diskussionen mit einer Schülerin geführt – eine meiner Meinung nach hochintelligente junge Frau. Natürlich ging es auch um Glauben, Gott und Kirche. Nach einiger Zeit teilte sie mir mit, dass sie an diesen Gott, von dem ich erzählt habe, einfach nicht glauben könne. Das war zwar enttäuschend für mich, aber letztlich weiß ich, dass ich mit keinen noch so genialen Argumenten jemanden umstimmen kann, der nicht selbst will.
Ein paar Tage später allerdings teilte mir diese Schülerin mit, dass sie nun auch mit ihrem Freund Schluss gemacht habe. Ich war erstaunt: „Warum das? Liebst Du ihn nicht mehr?“ – Ihre Antwort war klar und bestimmt: „Doch, natürlich – sehr sogar. Aber das sind doch alles nur Hormone und Nervenimpulse. Liebe kann es doch nicht geben, wenn es keinen Gott und keine Seele gibt.“

Der Entschluss an die Existenz von Liebe als eine wirkliche seelische Regung zu glauben, ist tatsächlich nichts anderes als der Glaube an Gott. Die Liebe kann Dir keiner beweisen (wenn Du nicht glauben willst), alle Hinweise kannst Du weg-erklären, alle Liebesbeteuerungen Deines Verehrers sind nur Worte seines Mundes, gesteuert durch Nervenbahnen. Wer nichts anderes als Wirklichkeit akzeptiert als das Messbare, Zählbare und Experimentelle, der wird niemals Liebe entdecken. Er wird die Liebe sehr wohl verspüren – aber dieses Gefühl nur als einen evolutionären Trieb begreifen; unsterbliche Liebe gibt es für einen solchen Menschen nicht.

So ist es auch mit dem Glauben an Gott: Wer sich entscheidet, nichts anderes gelten zu lassen, als das Materielle und das Sichtbare, wird Gott nicht finden. Für einen Materialisten ist das natürlich der schlagende Beweis dafür, dass es Gott nicht gibt. Kein Mensch, kein Gott kann ihm etwas anderes beweisen – denn jeder Hinweis und jede Sehnsucht sind für diesen Atheisten auch biologisch oder psychologisch erklärbar. Natürlich wird er immer wieder Gott verspüren – aber dieses Gefühl ist für ihn nichts anderes als den Rest des kindlichen Geborgenheitstriebes, der nach einem überirdischen Vater sucht, den es nicht gibt.

Ich bete heute noch häufig für die vorhin erwähnte Schülerin – sie war mir sehr teuer. Ich habe vor allem viel Respekt vor Ihrer Willensstärke und Verstandeskraft: Sie hat tatsächlich recht: Wie können wir an die Liebe glauben, wenn es keinen Gott gibt – und somit nur Materie? Aber im Gegensatz zu ihr fehlt vielen unserer atheistischen Zeitgenossen der Mut, die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Auch geliebt werden heißt glauben

Aber nicht nur die Frage, ob es Liebe überhaupt gibt, ist eine Glaubensfrage. Auch, ob Deine Liebe erwidert wird, musst Du glauben:

Denn ob Dein Traumpartner Dich auch liebt, kann er Dir niemals beweisen – das musst Du glauben. Natürlich gibt es dafür Hinweise. Ein verliebter Blick. Ein selbstgebasteltes Geschenk. Der Verzicht auf ein großes Ereignis, nur um bei Dir zu sein. Und noch viel mehr. Letztlich aber sind das alles eben nur Hinweise, Indizien. Ob dahinter Liebe steht – oder vielleicht doch nur der Versuch, Dich auszunutzen – wird Dir niemand wirklich beweisen können.

Es gibt leider einige Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, einen solchen Glauben an die Liebe aufzubringen. Sie sind so sehr enttäuscht worden, dass sie nicht mehr glauben können, dass ein anderer es ernst meint mit seiner Liebe. Oft können sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen, dass es so etwas wie Liebe gibt. Will nicht jeder nur an sich denken?
In direktem Zusammenhang damit steht auch die Überzeugung, selbst überhaupt nicht liebenswert zu sein. „Der, der mir gerade seine Liebe gesteht, kennt mich doch gar nicht. Wenn der wüsste, wer ich bin, würde er mich mit Sicherheit meiden.“ Verletzungen eines Menschen, der sich einem anderen vertrauensvoll geöffnet hat, gehen tief und haben schreckliche Konsequenzen: Um neuen Verletzungen aus dem Weg zu gehen, verkrampfen sich diese Menschen immer mehr und schotten sich oft gegen alles ab, was in ihnen Liebe hervorrufen könnte.

Die gleiche Abwehrhaltung gibt es auch gegenüber Gott. Manche Menschen sind durch religiöses Verhalten von Eltern, Freunden oder auch von Priestern so sehr verletzt worden, dass sie sich nicht mehr vorstellen können, dass hinter dem ganzen Gerede von Gott wirklich ein gutes, göttliches Wesen darauf wartet, mich zu lieben. Davon zu sprechen wird zur hohlen Phrase, verliert seine Bedeutung und erzeugt schließlich sogar Ekel.
Unmittelbar damit geht die Überzeugung einher, dass ein wirklich göttliches, gütiges und liebevolles Wesen mich nicht lieben kann – aus dem einfachen Grund, weil ich es nicht wert bin. Religiöse Verletzungen führen zu Haltungsschäden: Ich schütze mich vor allem, was in mir glaubendes Vertrauen erwecken könnte – und mich an meine alten Verletzungen erinnern würde.

Glauben und Lieben sind Vorentscheidungen

An die Liebe zu glauben kann Dir keiner vorschreiben – und keiner ausreden. Glauben an Gott hervorzurufen ist nicht durch Zwang und nicht durch Überredung möglich. Weder kann ein Naturwissenschaftler Dir ausreden, Gott zu lieben – noch kann Dir ein Biochemiker beweisen, dass Deine Liebe nur eine Folge von zu viel Schokoladenkonsum ist.

Glauben und Lieben sind Vorentscheidungen. „Grundoptionen“ sagt der Soziologe. Und doch sind es keine Entscheidungen der Unvernunft (oder, wie der Philosoph sagen würde, der „Vorvernunft“). Denn diese Entscheidungen lassen sich sehr wohl überprüfen – aber erst im Nachhinein.

Denn es handelt sich ja um die Bereitschaft, Wirklichkeit wahrzunehmen. Verschließe ich die Augen vor einem ganzem Bereich der Realität, wird sich diese größere Welt nicht beweisen lassen. Aber wenn ich meine Vorentscheidung ändere und (bildlich gesprochen) die Augen öffne, kann ich überprüfen, ob diese größere Welt (des Glaubens oder der Liebe) existiert. Dass viele behaupten, das sei ein Schritt vom (sicheren) Wissen in die Welt des (unsicheren) Glaubens, ist natürlich Unsinn. Geglaubt haben die Atheisten auch schon die kleine Welt.
Es handelt sich vielmehr um einen Schritt von einer Welt der begrenzten Erkenntnis in eine Welt der weiteren Sicht. (In diesem Sinne spricht Jesus auch gerne von Licht und Finsternis. Er hat viele Blinde geheilt – als Beschreibung für den Vorgang der Bekehrung).

Wenn Du Dich also dazu durchgerungen hat, nicht mehr nur an biochemische Vorgänge zu „glauben“, sondern auch „Liebe“ vorauszusetzen, kann es sein, dass Du Dir dieser Liebe so sicher bist, dass Du alles andere dafür verwetten würdest (sogar die Biochemie). Ein für die Liebe „Blinder“ wird Dich zwar für verrückt halten (und so typische Sprüche loslassen wie „Liebe macht blind“) – Du aber weißt jetzt einfach mehr.

Das gilt auch für Gott: Wer Ihn leugnet und alles, was Gott ähnlich sieht (also alles Geistige), der wird natürlich auch keinen Beweis für Gottes Existenz finden. Wer aber im biblischen Sinne die Augen öffnet, der begreift plötzlich auch den Sinn und die Bedeutung des Materiellen – überhaupt des ganzen Seins. So kann sich jemand, der glaubt, einer geistigen „Sache“ sehr viel sicherer sein als ein Naturwissenschaftler seiner Beweise. Allerdings weiß das der Atheist nicht im Voraus – deshalb erscheint ihm der Glauben als ein Wagnis. Leider sind viele nicht bereit, dieses Wagnis einzugehen. Wenn die wüssten!

Glauben und Vernunft: Schau hin, wen Du liebst!

Viel Verwirrung stiftet genau diese Behauptung von Schon-Glaubenden: „Ich bin mir absolut sicher, dass es Gott gibt.“ (Ich würde diesen Satz sofort unterschreiben). Die Antwort auf eine solche Aussage lässt nicht lange auf sich warten: „Wie kannst Du Dir Deines Glaubens nur so sicher sein? Heißt denn Glauben nicht eigentlich, etwas nicht sicher zu wissen? Kann man über Glauben diskutieren? Muss nicht jeder selbst wissen, was er glauben soll?“

An Gott zu glauben heißt, Gott zu lieben – genauso wie an die Liebe eines Menschen zu glauben bedeutet, diesen Menschen zu lieben.

Wenn Du Dich entschließt, einen Menschen zu lieben, so ist das weder eine reine Verstandes-Entscheidung noch reine Gefühlssache. Einen Menschen zu lieben heißt, ihn mit allen Regungen, zu denen Du als Mensch fähig bist, anzunehmen.
Genauso ist der Glaube an Gott keine reine Verstandes-Entscheidung, aber auch keine reine Gefühlssache. Warte, ich will das erklären:

Auf den ersten Blick einleuchtend ist, dass eine Liebe aus reiner Berechnung keine Liebe ist. Manchmal können diese Berechnungen auch wohlwollend sein („Schau, wenn Du mich liebst, dann geht es Dir in allen Belangen besser!“), dennoch bleibt eine solche Liebe eine Vernunftliebe – ohne Herz und ohne Gefühl. Wir sind sogar versucht, die politischen Vernunftehen der Adeligen in den letzten Jahrhunderten als „lieblos“ zu bezeichnen – was vermutlich etwas vorschnell sein dürfte.
Das gleiche gilt natürlich auch für den Glauben: Auf Gott zu vertrauen, weil man sich dadurch größere Chancen für das kommende Leben ausrechnet, funktioniert nicht – das merkt jeder sofort. Sogar Fidel Castro, der im hohen Alter noch den Papst nach Kuba eingeladen hat, um (wie er selber sagt) noch ein paar „Pluspunkte zum Erwerb der Eintrittskarte in den Himmel“ zu sammeln, weiß vermutlich, dass das keinen Sinn macht, wenn man nicht Gott irgendwie liebt.

Das andere – eine Liebe nur aus Gefühl – finden wir gar nicht so seltsam. Gerade Jugendliche sind manchmal regelrecht allergisch gegen eine verstandesmäßige Einschränkung der Liebe. Ähnlich allergisch sind sie dann auch gegen gute Gründe, an Gott zu glauben.

Die gefühlsmäßige Liebe ohne Vernunft ist aber extrem gefährdet (und gefährlich):

Verliebter: „Ich liebe diese Frau. Schau her, ich habe ein Bild von ihr. Ist sie nicht schön?“
Freund: „Ja – schon. Aber das Bild ist doch schon sehr alt, oder?“
Verliebter: „Das ist mir egal. Diese Frau muss es sein.“
Freund: „Ist das Foto nicht aus Bolivien?“
Verliebter: „Wahre Liebe kennt keine Grenzen“.
Freund: „Die ist doch verheiratet, oder?“
Verliebter: “ Meine Liebe ist größer!“
Freund: „Wurde die nicht wegen Mordes verurteilt?“
Verliebter: „Meine Liebe wird sie auf den Weg der Tugend zurückführen!“
Freund: „Wegen Mordes an ihren drei ersten Ehemännern?“
Verliebter: „Ich habe keine Angst. Ich liebe sie mehr als mein Leben!“
Freund: „Die ist doch vierzig Jahre älter als Du!“
Verliebter: „Das ist mir gleich. Wahre Schönheit altert nicht.“
Freund: „Ich meine gehört zu haben, dass sie vor 5 Jahren gestorben ist…“
Verliebter: „Meine Liebe geht über den Tod hinaus…“

Zugegeben – der Dialog ist nicht sonderlich realistisch. Aber er macht deutlich: Liebe ohne vernünftiges Denken ist blind – extrem blind. Denken ohne Liebe dagegen ist kalt – Gefühl oder Verstand ist rücksichtslos.

Wir können zwar nicht darüber diskutieren oder urteilen, welche Gefühle jemand für einen anderen Menschen hat. Aber bevor aus heißen Gefühlen eine Beziehung entsteht, müssen wir den Verstand einschalten – sonst wird es gefährlich. Dazu kann es durchaus hilfreich sein, wenn wir Freunde oder Freundinnen um ihre Meinung bitten – und uns auch vernünftigen Einwänden stellen. Mit beiden Flügeln – der gefühlsmäßigen Liebe und dem klaren Verstand – dagegen kann man in den siebten Himmel einer Beziehung abheben.

Das Gleiche gilt nun auch für den Glauben an Gott: Wer behauptet, die Entscheidung für oder gegen Gott sei reine Glaubenssache (damit ist normalerweise reine Gefühlssache gemeint), der schaltet das Denken genauso ab wie der blind Verliebte. Das ist aber gefährlich: Wenn Glauben wirklich nichts mit Denken zu tun hat und jeder glauben kann, was er will, dann ist kein Kraut gewachsen gegen verbrecherische Sekten, religiösen Fanatismus und kirchlichen Dogmatismus. Glauben und Vernunft sind die beiden Flügel, die zusammenschlagen müssen: Die Entscheidung für Gott ist letztlich eine Liebesentscheidung und unterscheidet sich wesentlich von einem „Glauben“ an UFOs, fliegende Fettmöpse oder an das Ungeheuer von Loch Ness.

Papst Johannes Paul II. hat in einer ziemlich philosophischen und recht schwierigen Enzyklika davon gesprochen, dass Glaube und Vernunft die beiden Flügel des Geistes seien. So kann man auch sagen, dass Liebe und Vernunft die beiden Flügel der menschlichen Beziehung sind – und die Beziehung zu unserem Schöpfer ebenfalls eine „Herzensangelegenheit“ und eine „Verstandessache“ ist. Beides.

Gebet und Gespräch

»Gibt es einen Gott?«

Oft gehen wir der Frage, ob Gott wirklich existiert, rein rational an. Das ist in Ordnung und sicher sehr sinnvoll. Aber Diskussionspartner, die nicht an die wahre Liebe zwischen Menschen glauben, können wir rational kaum vom Gegenteil überzeugen. Und dennoch ändern diese manchmal von einem auf den anderen Tag ihre Grundüberzeugung: Weil sie sich verliebt haben. Weil sie im Kontakt zu einem attraktiven Menschen erfahren haben, dass da jemand ist, der sie liebt.
Vielleicht erkennt auch ein Atheist die Existenz Gottes ganz plötzlich an, wenn er diesem Gott begegnet. Zum Beispiel im Gebet.

Dabei dürfen wir nicht den Fehler machen, Gebet zu Gott einfach mit Gespräch unter Menschen gleichzusetzen. Das wäre zwar schon sehr hilfreich: Viele Fragen zum freien Gebet, Bittgebet und betrachtenden Gebet werden wir leicht klären können, indem wir den Vergleich mit einem Gespräch zwischen Menschen ziehen.

Aber Gebet ist mehr als nur Gespräch – Gebet ist die gelebte, verwirklichte Beziehung zu Gott.

Im ersten Teil unserer Katechese habe ich davon gesprochen, dass Glauben sowohl in meiner Beziehung zu Gott eine wesentliche Rolle spielt – ich aber ebenso glauben muss, wenn ich eine Beziehung zu einem Menschen habe – vor allem, wenn es sich dabei um eine Liebesbeziehung handelt.
Sobald ich diese Beziehung lebe, setze ich mich in Beziehung zu anderen. Das ist schon Gebet – nicht erst, wenn ich meinen Mund aufmache. Ja, es gilt sogar: Schon das Suchen Gottes ist bereits Glauben und Gebet. (Das hat vor allem der Gründer von Taizé, Frere Roger, immer wieder betont.)

Gebet: Gott zu mögen

Alle und jede Voraussetzung zum Gebet ist es, Gott gern zu haben. Ob Du für Deine Beziehung zu Gott das Wort „lieben“ angemessener findest, oder lieber von eher „mögen“ reden willst, ist nicht so wichtig. Hauptsache, Er gefällt Dir. Du gefällst Ihm nämlich auch – schon von Anfang an.

Dagegen reagiert Gott für uns befremdlich, wenn wir ihn sezieren, beobachten und auswerten wollen – anstatt ihm Zuneigung entgegenzubringen. Klar, kann man verstehen.

Deine Freundin würde ja auch etwas pikiert reagieren, wenn Du sie – ohne sie wirklich zu mögen oder gern zu haben – erst einmal in ein Labor zur Untersuchung geben würdest. Wenn die Laboranten dort mit Deiner Freundin experimentieren, ihr Blut abnehmen, sie vermessen, wiegen und klassifizieren, wird es nicht lange dauern, und sie wird das Weite suchen.

Wundere Dich also nicht, wenn Gott das Gleiche tut. Er will nicht in Theorien eingebaut werden, klassifiziert und begrifflich bestimmt werden – er möchte, dass wir Ihn lieben. Kann gut sein, dass er gelegentlich das Weite sucht.

Das ist aber nicht etwa die schrullige Eigenart eines liebeshungrigen Gottes, der erst verlangt, dass man ihn mag, bevor er sich zeigt. Nein – es geht Ihm schließlich darum, dass erst die Liebe uns die Augen öffnet für das, was Gott ist – was er will – und was er tut.

Sobald Du Gott magst, Ihn gern hast oder sogar nur so etwas wie Liebe empfinden willst (ja, der Wille dazu reicht aus!), betest Du. Ohne es zu wissen. Denn ab diesem Augenblick öffnen sich Deine Augen.

Gebet: Gottes Nähe suchen

Bei den Schwestern der Steyler Missionare gibt es einen Ordenszweig, der die Weltmission nur durch das Gebet unterstützt. Diese Ordensschwestern, die nicht nur den ganzen Tag nichts wesentlich anderes tun als beten, sondern dieses sogar ihr ganzen Leben lang, tragen ein Ordenskleid mit einer besonderen Farbe: Es ist komplett rosa. Wir Studenten haben die rosa Schwestern gerne „Pink Panther“ genannt – und uns innerlich immer gefragt, wie man ein solches Leben wohl aushalten könnte.

Die Antwort kam mir, als ich eine junge Frau erlebte; wie sie ganz unruhig wurde, weil ihr Freund für eine Woche nicht in ihrer Nähe war. Nicht, dass sie ihm misstraute. Es ging auch nicht um Langeweile oder ähnliches. Es ging darum, dass sie seine Nähe vermisste. Wie schön war es, als die beiden nach dieser Woche der Sehnsucht wieder vereint waren: Zunächst wurde kein Wort gesprochen – sie vergewisserten sich gegenseitig nur der Nähe des anderen. Und haben diese Nähe genossen.

Es ist schön, einfach nur in der Nähe Gottes sein zu dürfen. Wir müssen dabei nicht unbedingt etwas sagen. Ist es nicht herrlich, erschöpft und ausgelaugt zum Freund kommen zu dürfen und in seinen Armen einschlafen zu können? Und, wenn es sein muss, nach dem Aufwachen ohne ein Wort wieder zu gehen?

Warum glauben wir, im Gebet immer viele Worte machen zu müssen? Genießen wir doch einfach mal die Nähe Gottes. Gönnen wir uns auch ein bisschen Schlaf in Seiner Nähe. Ich fände es gar nicht so schlimm, wenn der eine oder andere im Gottesdienst einschläft (ich bin Pastor – ich darf so etwas sagen). Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass Gott sich beim Anblick eines eingeschlafenen Gottesdienstbesuchers dem Lied von Pur anschließt: „Prinzessin, lass die Augen zu! Ich will ganz tief in Dich sehn… Ich schleich mich in den Traum zu Dir – ich liebe Dich! Ich mag Dich schlafen sehn.“

Allerdings: So schön das gelegentlich ist – auf Dauer ist das natürlich zu wenig. Eine Freundin, die immer nur zum Einschlafen zu mir kommt, und mich – wenn auch mit liebevollen Blick – anschließend immer wortlos verlässt, ist aufs Ganze gesehen schon eine seltsame Freundin. Zu einer echten Freundschaft gehört natürlich auch die Kommunikation. Bevor ich allerdings davon rede, eine wichtige Frage:

Antwortet Gott überhaupt?

Es gibt viele Menschen, die schon irgendwie an Gott glauben wollen und die andere bewundern, die sich stundenlang dem Gebet hingeben können. „Leider“, so führen sie oft an, „antwortet Gott mir nicht. Wenn ich bete, dann rede ich wie gegen eine Wand.“

Wenn man aber konkret von Gebetserhörungen spricht, wird deutlich, wo das eigentliche Problem liegt. Beispielsweise erzähle ich von folgendem Erlebnis: „Ich habe im Gebet ziemlich gerungen, ob ich wieder mit meinem zerstrittenen Nachbarn Frieden schließen soll. Mitten im Gebet klingelt es an der Tür – und wer steht vor mir? Mein Nachbar, der sich eine Bohrmaschine ausleihen will. So redet Gott mit mir!“

Mein sehnsüchtiger Freund, der gerne Glauben möchte, wird mir sicherlich antworten: „Ach, das meine ich doch nicht. Das ist doch bloß Zufall. Ich kann doch nicht in alle Zufälle sofort Gottes Stimme hineininterpretieren. Außerdem: Wie kann ich sicher sein, dass das wirklich ein Zeichen Gottes ist?“

Dann muss ich also wohl ein anderes Beispiel erzählen: „Ich war im Gebet mit Gott, eigentlich ein ganz normales Gebet ohne besonderes Anliegen. Plötzlich, mitten im Gebet, ging mir der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf: Ruf Deine Eltern an! – Ich konnte ihn einfach nicht loswerden. Also habe ich aufgehört zu beten und Gottes Auftrag ausgeführt – und meine Eltern angerufen.“

Wieder wird mein Freund antworten: „Aber aber, das waren doch Deine eigenen Gedanken! Warst Du Dir denn sicher, dass Gott das von Dir wollte? Du rennst doch Deiner eigenen Phantasie hinterher!“ – In meinem Beispiel ist es eigentlich vollkommen gleichgültig, ob ich durch den Anruf bei meinen Eltern deren Leben gerettet oder nur ein bisschen mit ihnen geplaudert hätte – für meinen Freund ist es so oder so klar, dass die angebliche Antwort Gottes nur ein Gedanke meines eigenen Gehirns war.

Damit hätten wir die Katze, die sich in den Schwanz beißt, beim Schopf gepackt: Der gute, glauben-wollende Freund erwartet, dass Gott zu ihm spricht – dann würde er auch gerne glauben. Aber die Art und Weise, wie Gott zu ihm redet, will er nicht Gott zuschreiben, sondern hält es für Einbildung. Mit anderen Worten: Der Freund, der nicht glauben will, weil Gott nicht zu ihm spricht, will vor allem nicht glauben, dass Gott zu ihm spricht.

Aber seien wir ehrlich: Genau das Gleiche denken wir doch auch, oder?

Es wäre uns doch etwas peinlich, jemanden einzugestehen, dass ich nun meinen Urlaub nicht mehr in Spanien, sondern in Italien verbringe, weil ich im Gebet von Gott dazu aufgefordert worden bin. Würdest Du so etwas eingestehen?
Aber schlimmer noch: Du würdest so etwas Abstruses nicht nur verschweigen – Du würdest es erst gar nicht wahrhaben wollen. Da wir uns selbst nicht für verrückt erklären wollen, leugnen wir einfach die Einwürfe Gottes und machen weiterhin Urlaub in Spanien. Olé!

Wir sind Meister darin, Gottes Stimme zu überhören.

Aber vielleicht sind wir trotzdem bereit, als einfache Neulinge eine Lehre zu beginnen: Das Gebet neu zu lernen.

Gebet – Zeichen sehen

Tatsächlich spricht Gott gerne in den vorhin erwähnten Zeichen zu mir. Das tun wir Menschen ja auch: Wir lächeln dem anderen zu, halten eine Tür auf, bezahlen die Cola, reichen jemanden die Hand, berühren und schauen, seufzen und machen Geschenke – unsere „non-verbale Kommunikation“ kennt Schattierungen ohne Ende.

Gott ist da Experte. Seine Botschaften, Zärtlichkeiten und Gefälligkeiten sind allerdings ungleich vielfältiger. Wir müssen nur bereit sein, sie als solche wahrzunehmen – wir trauen uns das ja nicht so wirklich.

So ein innerer Selbstzweifel (war das jetzt ein Zeichen Gottes – oder nicht?) unterscheidet sich in nichts von den Liebeszweifeln einer Pubertierenden: „Hat er mich wirklich angeschaut? Nein, das kann nicht sein. Oder doch? Was aber, wenn ich mich täusche? O Gott, wäre das peinlich. Vielleicht meint er gar nicht mich. Vermutlich habe ich mir das nur eingebildet. Was aber, wenn er etwas von mir will – und ich merke es nicht? Wenn ich jetzt darauf reagiere, lachen mich bestimmt alle aus… Was soll ich nur tun?“

Die Antwort, die ich einem von pubertierenden Selbstzweifeln geplagtem Mädchen geben würde, gebe ich auch den Auszubildenden in der Schule des Gebetes: „Trau Dich! Mache Deine Erfahrungen – und Du wirst ziemlich schnell erkennen, welchen Zeichen Du trauen darfst und welchen nicht. Habe keine Angst, Dich zu blamieren – dadurch lernst Du nur schneller.“

Gott spricht zu uns durch Zeichen. Vorsehung nennen das die betenden Menschen, oder Fügung. Wenn Du nur ein wenig in den Lebensberichten großer Christen liest, wirst Du aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Ich empfehle Dir zum Beispiel die Erlebnisse eines Pfarrers aus meiner Heimat in Kleve – Fritz Leinung. Oder – man will es fast nicht glauben – das kleine Büchlein von Gereon Goldmann „Tödliche Schatten – Tröstendes Licht“. Oder die „aufrichtige Erzählung eines russischen Pilgers“. Oder…

Dazu ist allerdings Glauben notwendig – genauso wie in einer Freundschaft. Gekaufte Rosen und den Hundeblick am Klavier kann jeder – Du musst glauben, dass es sich dabei um Zeichen von Zuneigung handelt. Ich verstehe eigentlich nicht, dass Menschen diesen Zeichen immer noch soviel Vertrauen entgegenbringen (obwohl sie doch häufiger enttäuscht worden sind) – Gott aber dieses Vertrauen versagen. Aber wer versteht schon die Menschen?

Gebet: Seine Stimme hören

Nicht-Glaubende unterschätzen diese ersten Gebetsformen – wenn sie „Gespräch mit Gott“ hören, hoffen sie auf den Austausch von Worten und Informationen. Dabei sind die bisher geschilderten Weisen des Gebetes keineswegs nur Vorformen – im Gegenteil: Sie sind wichtiger als das mündliche Gebet.

Aber ich gebe zu: Auch jede menschliche Beziehung lebt vom Gespräch, dem Austausch von Meinungen, Ansichten, Informationen, Bitten, Lob und Danken.

Und wieder ist es eine Frage des Glaubens, ob ich bereit bin, Gottes Stimme zu hören. Denn Gott redet nicht mit menschlicher Stimme. Er ist Geist – purer Geist – und stellt die Verbindung zu uns her über unserem Geist. Das ist natürlich nicht so einfach zu glauben; wir sind kritisch unseren eigenen geistigen Regungen gegenüber und skeptisch, wenn wir etwas nicht verstehen.

Aber wer eine enge seelische Beziehung zu einem anderen Menschen hat, kennt das vielleicht:

  • Eine Mutter wacht mitten in der Nacht auf und weiß, dass ihrem Sohn etwas Schreckliches passiert ist.
  • Eine Bekannte von mir verließ mitten in einer Vorlesung den Saal in der Gewissheit, sofort zuhause anrufen zu müssen – ohne zu wissen, warum. Wie sich herausstellte, war die Großmutter gestorben.
  • Eine Frau weiß – entgegen allen Meldungen – dass ihr vermisster Mann noch lebt.
  • Ein Kind erkennt die Mutter, obwohl es als Säugling von ihr getrennt wurde und sie seitdem nicht mehr gesehen hatte.

Natürlich geschieht das nicht immer – aber es kommt vor, häufiger sogar, als man glaubt. Denn wir reden nicht gerne darüber.

Es gibt also seelische Regungen, von Seele zu Seele, ohne Worte. Gedanken schießen uns durch den Kopf und lassen uns nicht wieder los. Phantasien entwickeln ein Eigenleben; Bilder tauchen immer wieder auf; Gefühle lassen sich nicht abschütteln. – Was wir als seelische Regungen zwischen Menschen kennen, ist jedoch nur ein Abbild dessen, was Gott uns im Gebet an seelischen Geschenken zukommen lassen kann. Wenn wir es nur zulassen.

Gott ist mehr geistig und uns näher, als jede andere Seele eines Menschen. Deshalb kann er in unserem Geist präsenter sein als jede menschliche Seele. Es bleibt lediglich die Frage, ob wir an seine Gegenwart glauben.

Probier’s doch einmal aus:

  • Suche Dir einen ruhigen Ort, am besten eine Kirche. Setze Dich, wenn Du willst, kannst Du auch knien, und trage Gott Deine Bitten vor – Deine Fragen oder was auch immer.
  • Dann sei aufmerksam: Frage Dich, was Gott wohl darauf antworten würde. Der erste Gedanke, der Dir daraufhin durch den Geist geht – nimm ihn als Antwort. Frage (noch) nicht danach, ob es nur Einbildung ist. Rätsel nicht, ob es nur Dein eigener Geist ist. Sei ausnahmsweise nicht kritisch und nicht skeptisch. Nimm den Gedanken so, wie er Dir kommt.
  • Frage nach – „Was meinst Du damit, Gott?“ Melde Bedenken an, bringe Einwände, führe Deine eigenen Erzählungen fort – mit anderen Worten, beginne ein Gespräch mit Gott.
  • Lass Dich unterbrechen. Was Du am Anfang vielleicht noch für Deine eigenen Gedanken gehalten hast, wird sich zunehmend in die Rede Gottes verwandeln – und Dir fremd vorkommen.Vielleicht gibt Gott Dir ungewöhnliche Ratschläge; vielleicht lobt er Dich, obwohl Du um Verzeihung bitten wolltest; vielleicht rügt er Dich, obwohl Du ihn lobst. Trau Dich nur erst einmal, Deine Phantasie in den Dienst Gottes zu stellen, und Du wirst feststellen, dass er sie gerne verwendet.

Dieses Gespräch mit Gott braucht ein wenig Übung – aber wirklich nur ein klein wenig. Viel wichtiger ist Ruhe und Ungestörtheit; noch wichtiger aber Vertrauen und Glauben.

Einige von Euch werden diese Art mit Gott ins Gespräch zu kommen als Lieblingsform des Gebetes entdecken – anderen ist es zu wenig intensiv und zu oberflächlich. Tatsächlich habe die Mystiker im Gespräch mit Gott nicht nur Worte gewechselt – sondern Gott hat ihnen so umfassende seelische Regungen geschenkt, dass ihnen die Worte wegblieben.

Wie dem auch sei: Gott ist Geist und schenkt uns neben so wichtigen Dingen wie Trost, Mut, Demut, Frieden oder kreative Unruhe auch die Gnade des Gespräches. Sehr real – für den, der glaubt.

Das freie Gebet – die Liturgie – und der Rosenkranz

Die schönste Form des Gespräches ist natürlich der Dialog. Frei erzählen, offen bitten, einfach danken – das ist das Vorrecht der Verliebten. In jedem Gerichtssaal muss man sich an Formen und Formeln halten – im Gebet nicht. In jeder Behörde muss ein Antrag formgerecht sein – im Gebet nicht. Sogar ein Brief erwartet ein Mindestmaß an Förmlichkeit – sonst kommt er erst gar nicht an. Das Gebet kommt immer an, und wer einmal von der Erlaubnis der Liebenden, frei miteinander zu reden, in Bezug auf Gott Gebrauch gemacht hat, will es nicht mehr missen.

Aber es muss nicht dabei bleiben.

  • Hast Du Deiner Freundin schon einmal ein Lied gesungen? Gott hört gerne Lieder, und er singt auch gerne mit. Und wer nur an den verliebten Romeo unter Julias Balkon denkt, der weiß, dass ein Lied (selbst schlecht gesungen) mehr sagt als „tausend Worte“.
  • Aber auch Gedichte kann man aufsagen – selbstverfasste Liebesgedichte, Gedichte von einem Ghostwriter oder von Goethe. Ganz egal – jedes Romantiker-Herz wird bei einer solchen Gelegenheit höher schlagen, oder?
  • Geschichten vorlesen ist total IN – nicht nur für die kleinen Kindern. Stell Dir vor, einer von Euch beiden ist krank – der andere wacht an seinem Bett. Für eine echte Unterhaltung fehlt die Kraft. Warum nicht etwas Vorlesen? – Auch zum romantischem Einschlafen, zur gegenseitigen Unterhaltung bei langen Autofahrten oder beim Frühstück aus der Zeitung vorlesen – wer’s noch kann, hat schon gewonnen.
  • Am schönsten aber ist es, in den Worten des Anderen zu reden. Zum Höhepunkt des Films „Die Braut, die sich nicht traut“ gehört es, dass Julia Roberts am Ende des Films eine Heiratsantrag macht und dabei genau die gleichen Worte benutzt, die Richard Gere am Anfang des Films selbst ausgesprochen hat (das Gleiche – unheimlich romantisch – findet sich z.B. auch in „Glauben ist alles“ – einer meiner Lieblingsfilme). Natürlich nicht nachplappern oder nachäffen – sondern sich die Worte und Gedanken des anderen selbst zu eigen machen – das ist Liebe.

Du merkst schon, worauf ich hinaus will. Es ist nicht so, dass ein aufgesagtes „Vaterunser“ etwas für Anfänger und das frei gesprochene Gebet etwas für Profis ist. Vielmehr kann ein Rosenkranz so eine Art „Vorlese-Zeit“ sein, ein Vaterunser eine Liebeserklärung mit den Worten Gottes, ein altes Gebet wie ein Liebesgedicht von Goethe. Vielleicht fühlst Du Dich im nächsten Gottesdienst, während Du Dein Lied singst und zur Orgelbühne hochschaust, wie Romeo unter dem Balkon seiner Julia – warum nicht?

Manchmal kommt es auf die Worte an. Manchmal aber nur auf die Haltung, die man zum Ausdruck bringen will (wer seinen Kindern amüsante Märchen vorliest, kann es trotzdem ernst mit ihnen meinen!). Es gibt sogar Gelegenheiten, wo es weder auf die Worte noch auf die Haltung ankommt – sondern vielmehr darauf, dass man überhaupt etwas sagt. Auch ein Rosenkranz kann (wenn es sein muss) unandächtig und gedankenlos gebetet dennoch ein Gebet sein, das Gott gefällt. Vielleicht reicht Gott ja auch schon die halbe Stunde, die es dafür braucht, als Zeichen unserer Zuneigung.

Wie dem auch sei: Spielen wir die Formen des Gebetes nicht gegeneinander aus. Fragen wir nicht, was wertvoller ist. Bemühen wir uns vielmehr darum, Gott zu mögen und Ihm unsere Liebe zu zeigen – die Form, in der wir es dann tun, ergibt sich von selbst. Nur immer schön offen bleiben!

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