Die Sprache der Liebe

Die Sprache der Liebe

Kann denn Liebe Sünde sein?

In Hafenstädten und Bahnhofsvierteln, so weiß man, stehen viele rote Lampen. Das »Rot-Licht-Milieu«. Auch Korinth zur Zeit Jesu war ein solches Hafenstädtchen. Und wenn auch damals wahrscheinlich keine roten Lampen in den Fenstern der Hafenkneipen standen, so sah es hinter diesen Fenstern wohl genauso aus wie zweitausend Jahre danach.
Dort, in Korinth, fand sich eine der ersten christlichen Gemeinden zusammen. Da ging es, ähnlich wie im Hafen, drunter und drüber. So sehr, dass der Apostel Paulus sich gezwungen sah, einen Brief zu schreiben…
Was meinst du wohl, was er schreibt? »Das dürft ihr nicht, ich verbiete es Euch?« Nein, weit gefehlt. Er schreibt: »Alles ist Euch erlaubt!« Als Christen seid ihr freie Menschen, von Jesus freigekauft und bestimmt, in Freiheit zu leben. Allerdings »…nicht alles nützt Euch.« Und weiter: »Alles ist Euch erlaubt, aber nichts soll Macht haben über Euch.«

Das ist von Paulus sehr schön formuliert. Es geht im Christentum niemals um Gebote, die ihren Grund allein in der Tatsache haben, dass Gott sie aufgestellt hat. Gebote sind nicht deshalb Gebote, weil es sie gibt (das wäre ja auch ziemlicher Schwachsinn). Gebote sind da, um etwas Wertvolles zu schützen, damit es nicht missbraucht, zerstört oder übergangen wird. Nochmals: Ein herzliches Dankeschön, Paulus.

Ein Mann und eine Frau, die mal eben das schnelle Vergnügen von Sex außerhalb der Ehe mitnehmen, haben vielleicht den Eindruck, frei zu sein; aber das Gegenteil ist der Fall. Die Kirche leugnet nicht den Reiz von »unerlaubtem« Sex. Ja, es fühlt sich gut an (in der Phantasie dann doch mehr als in der Realität). Und ja, es kann aufregend sein. Doch dieses schnelle Vergnügen ist leer – und dumm im Licht der Konsequenzen, die es für Seele, Körper und Gefühle hat.

Christliche Moral ist kein Gefängnis, sondern eher wie ein Mittelstreifen auf der Fahrbahn. Eine durchgezogene Linie kann niemanden davon abhalten, darüber zu fahren; sie schützt auch nicht vor verrückt gewordenen Kamikazefahrern. Ein Mittelstreifen ersetzt auch keinen Führerschein und kein aufmerksames Fahren. Er ist einfach nur ein Richtschnur, an der wir erkennen können, wo der richtige Gebrauch aufhört und es beginnt, gefährlich zu werden. Kein vernünftiger Autofahrer würde die durchgezogene Linie oder sogar den ausgebauten Mittelstreifen auf einer Autobahn als »Beschneidung seiner Freiheit« bezeichnen. Genauso wenig wollen die Gebote der Kirche einengen und Freiheit beschneiden, sondern helfen, die Spur zu halten und dadurch zu lieben und Freude zu haben, ohne sich und anderen zu schaden. »Alles ist erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich« oder mich von Gott trennen. Das ist der Grund, weswegen sich die Kirche verpflichtet sieht, dir ins Schlafzimmer hineinzureden: Sie möchte dein Glück.
Aber – und das ist wohl die entscheidende Frage – wieso soll mich das, was die Kirche als »Sünde« bezeichnet, unglücklich machen? Diese Einteilung in »sündige Liebe« und »gute Liebe« oder in »sündigen Sex« und »guten Sex« ist doch total überholt und entspricht nicht mehr dem, was wir heute über Sex wissen!

Ja? Was wissen wir denn über Sex? Wir haben ihn biologisch und soziologisch erforscht und werden ruck-zuck aufgeklärt, wie was geht. Aber wissen wir denn noch, was das ist: »Sex«?

 

Latein, Englisch, Französisch, Sex

Sex, so sagt man, ist die Kurzform des Wortes »Sexualität«. Sagt man. Allerdings ist nicht nur das Wort »Sex« kürzer, sondern verkürzt ist auch das, was damit gemeint ist: Während »Sex« meistens nur den Geschlechtsverkehr meint, ist »Sexualität« ein viel umfassenderer Begriff, beginnt mit dem ersten Augenkontakt, dem Knistern zwischen zwei Menschen, geht über Zärtlichkeiten wie Umarmungen, Küsse und körperliche Nähe, beschreibt aber auch das geistige und psychische Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern – und endet noch lange nicht bei dem, was allgemein als Höhepunkt bezeichnet wird.

Sexualität ist eine Sprache

Alles das ist Sex – bzw. Sexualität: Das sieht auch unser Rechtssystem so. Immerhin kann auch schon eine unanständige Berührung oder ein aufgezwungener Kuss den Straftatbestand der sexuellen Belästigung und auch des sexuellen Missbrauchs erfüllen. Weil Sex eben nicht nur eine bestimmte Handlung ist. Sex ist eine Sprache.

Unser Körper, so wissen Kommunikationsforscher schon seit langem, spricht seine eigene Sprache. Ja, man kann vielleicht sogar sagen, dass unser Körper selbst seine höchste Bedeutung bekommt als Ausdrucksmittel der Seele, sozusagen als dessen »äußere Seite«. Das kennen wir aus fast jeder Alltagssituation: Schon lange, bevor uns der Freund gesagt hat, dass er ein Problem hat, haben wir es ihm schon angesehen; sein Körper hat ihn verraten.

Unser Körper spricht eine Sprache; diese besteht aus Zeichen und Symbolen, die wir zum Teil ganz intuitiv verstehen – und zum Teil erst lernen müssen. Es gibt in fremden Ländern fremde Sprachen auch für unseren Körper; das wird jeder einmal erfahren, der versucht in China einen Vertrag per Handschlag zu schließen (probier das lieber nicht aus). Unser Körper spricht eine Sprache, das heißt auch, dass wir damit lügen können: Wir können so tun »als ob«. Ein gut geschulter Verkäufer wird genauso wie ein echter Schauspieler nicht nur seinen Text beherrschen, sondern auch seinen Körper. Beides, das gesprochene Wort und der Körperausdruck muss zu dem passen, was als Gefühl gerade ausgedrückt werden soll. Ansonsten ist man entweder ein schlechter Schauspieler oder ein ehrlicher Verkäufer.

Sexualität ist die Sprache, die äußere Form der Liebe; genauso wie das gesprochene Wort. Wir wollen nicht nur sagen: »Ich mag Dich«, sondern es auch zeigen. Nicht nur im sexuellen Bereich empfinden wir das gesprochene Wort ohne den dazugehörigen körperlichen Ausdruck als arm und ungenügend. Aber gerade im Bereich der Beziehungen, wo Sympathie und Zuneigung, Liebe und Leidenschaft eine Intensität erreichen, dass sie sich kaum noch in Worte fassen lassen, brauchen wir etwas, das über bloße »Wortklaubereien« hinausgeht: unseren Körper. Er spricht immer noch die ehrlichste, unmittelbarste und intensivste Sprache. Probiert es doch einmal aus: Wie leicht fällt es auch vor anderen, jemandem zu sagen: »Ich finde Dich überragend!« – und wie schwer fällt es, uns vor einem anderen zu verneigen oder sogar zu knien – vor allem, wenn andere zuschauen. Das liegt daran, dass Worte leicht gemacht sind (»words are cheap«); der Körper aber meint fast immer, was er zeigt.

»Sex ist eine Sprache… Sex ist eine Sprache? Also, bloß ein Medium?« – Tatsächlich ist Sex kein Selbstzweck. Es dürfte für jeden Menschen eine derbe Ernüchterung sein, wenn nach einer wunderbaren Nacht der Partner sagt: »Es war sehr schön mit Dir. Das, was wir getan haben, war total klasse; Du selbst bist mir allerdings ziemlich egal.« Nein, Sex (im umfassenden Sinne, nicht nur der Geschlechtsverkehr) verkümmert vollkommen, wenn »er praktiziert wird, um ihn zu praktizieren«. Sex wird erst dann zu einem Erlebnis, einem Ereignis, das Leben verändern und Leben stiften kann, wenn er eine Sprache ist, die nur einem einzigen Zweck dient: Liebe auszudrücken. Die Liebe aber, die durch deinen Körper ausgedrückt wird, dient keinem Zweck – die Liebe ist sich selbst genug.