Was ist Sexualität eigentlich?

Was ist Sexualität eigentlich?

Wenn du danach fragst, was »Sexualität« bedeutet, dann gibt dir die Biologie eine ganz andere Antwort als deine beste Freundin – oder deine Eltern, dein Pfarrer oder ein Poet. Diese Antworten sollten sich nicht widersprechen, sondern ergänzen; die verschiedenen Sichtweisen ergeben erst zusammen das ganze Leben und die ganze Wirklichkeit.

 

Was ist Sexualität?

 

Die Antwort der Biologie

Die Biologie wird dir auf die Frage nach der Sexualität antworten, dass dies eine besondere Art der Fortpflanzung ist, bei der sich ein Lebewesen nicht einfach teilt wie z. B. eine Bakterie, sondern jeweils zwei »Eltern« ihre Erbinformationen gemeinsam an die »Nachkommen« vererben; dabei mischen sich die Erbinformationen und werden neu kombiniert, so dass die nächste Generation sowohl von den Eltern verschieden als auch untereinander variabel ist.
»Sexualität« meint dabei nicht nur die Art der Fortpflanzung durch Re-Kombination der Gene, sondern auch die Einteilung der Lebewesen in zwei Geschlechter, die wir meist mit »männlich« und »weiblich« bezeichnen. Für die sexuelle Fortpflanzung ist es notwendig, dass sich jeweils ein männlicher Artgenosse mit einem Weibchen paart.

 

Die Antwort der Psychologie

Die Antwort der Psychologie wird dagegen ganz anders ausfallen. In der Psychologie geht es bei der Frage nach der Sexualität weniger um die Auswirkungen auf die nächste Generation, sondern um die seelischen Voraussetzungen und Wechselwirkungen zwischen den Geschlechtern.
Warum verlieben sich bestimmte Menschen – und andere nicht? Welche Rolle spielt die Erfahrungen mit den eigenen Eltern für meine Beziehungsfähigkeit und Partnerwahl? Sind Mann und Frau von Geburt an unterschiedlich in ihrem Denken, ihrer Wahrnehmung und Urteilskraft? Sind diese Unterschiede vorgegeben oder anerzogen? Wie wichtig sind für eine glückende Beziehung die Gemeinsamkeiten – und wie spannend die Unterschiede?
Aus der Psychologie heraus sind Psychotherapien entstanden, die Probleme beheben und Paaren in ihrer Beziehung helfen. Wenn diese Hilfe sehr stark medizinisch ausgerichtet ist, dann sprechen wir vom Psychiater.

 

Die Antwort eines Philosophen

Eine andere Beschreibung der Sexualität bekommst du von einem Philosophen (was erst einmal nicht viel anderes bedeutet als ein »Freund der Weisheit« – philein = lieben; sophia = Weisheit). In diesem Sinne kann auch die Antwort deiner Freundin, deiner Eltern oder eines Religionsvertreters eine philosophische Antwort sein. Dabei werden sie nicht nur von Fortpflanzung oder psychischen Wechselwirkungen reden – sondern von der Schönheit, der Hingabe, der Freude und der Lust; von Schmetterlingen im Bauch und großen Krisen; von Verantwortung füreinander und Vertrauen zueinander. Eine solche Antwort bedenkt viel mehr als nur das Biologische, Medizinische und Psychologische; aber kein guter Ratgeber würde das übergehen, was uns die Biologie, Medizin und Psychologie erzählt.

 

Die Antwort der Kirche

Alles das ist auch für die christliche Sicht der Sexualität gültig – sowohl die Biologie und Medizin als auch die Psychologie und Philosophie sind notwendige Voraussetzungen für ein umfassendes und angemessenes Verständnis von Sexualität.
In den christlichen Kirchen hat sich darüber hinaus noch eine tiefere Sicht der Sexualität entwickelt, in der Verliebtheit und Liebe zwischen zwei Menschen auch eine Bedeutung für unser Verhältnis zu Gott haben. Zum einen, weil die Liebe zwischen den Menschen eine große Ähnlichkeit mit der Liebe Gottes zu uns Menschen hat. Wir sind genau aus diesem Grund Ebenbilder Gottes!
Aber auch, weil wir in unserem christlichen Glauben dazu geschaffen und berufen sind, mit Gott und den Menschen dereinst in eine unendliche Liebesbeziehung einzugehen (wir nennen das »den Himmel«) – und unser Umgang miteinander und mit der Sexualität verändert unsere Fähigkeit, diesen Himmel zu wollen und uns dort auch wohlzufühlen.
Vor allem in der katholischen Kirche hat sich der Glaube bewahrt, dass die Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen ein Vorgeschmack auf den Himmel und ein Weg in den Himmel sein soll; zum Beispiel darin, dass die Ehe ein Sakrament ist.

 

Fortpflanzung, Sexualität und Liebe

Sexualität nur zur Fortpflanzung?

Natürlich hat die Biologie Recht, wenn sie in der Sexualität einen Mechanismus der Fortpflanzung sieht – und vor allem auf die große Bedeutung der Variabilität der Nachkommen für die Evolution verweist. Und für die meisten Fortpflanzungsakte in der Pflanzen- und Tierwelt gilt, dass es dabei vor allem um die Rekombination von Erbgut und die Zeugung von Nachkommenschaft geht.
Aber das bedeutet nicht, dass die Sexualität auch für uns Menschen nichts anderes sei als die Zeugung von Nachkommen. Bereits bei höher entwickelten Tieren (nicht erst bei den Menschenaffen) ist Sexualität nicht nur Fortpflanzung, sondern wichtiges Element der sozialen Ordnung zwischen den Tieren. Eine Verletzung von sexuellen Regeln zum Beispiel in einem Verband von Löwen oder Schimpansen kann empfindliche Konsequenzen haben.

Auch die Nahrungsaufnahme hat beim Tier die gleiche Funktion wie bei uns Menschen: Wir würden sterben, wenn wir unseren Körper nicht mit Nährstoffen versorgen. Und dennoch geht es beim Menschen (und auch schon bei Tieren, die in Sozialverbänden leben)beim gemeinsamen Essen um mehr als nur um die Kalorienaufnahme. Wieviel Freude und Liebe kann in einem festlichen und romantischen Candlelight-Dinner liegen!

 

Sexualität ist die Sprache der Liebe

So darf es nicht verwundern, dass die Sexualität beim Menschen zu ihrer biologischen Funktion (der Zeugung von Kindern) noch eine weitere Dimension erhalten hat, der wir uns nicht entziehen können. Wir Menschen sind zur ganzheitlichen Liebe fähig. Jede sexuelle Betätigung ist Ausdruck dieser Liebe; ja, Sexualität ist die Sprache der Liebe. Nur durch diese Sprache (ob mit Worten oder Handlungen) können wir unsere Liebe zueinander ausdrücken. Das macht die Sexualität so wertvoll!

 

Bewahre dir den Reichtum dieser Sprache

Die Sprache der Liebe ist unendlich wertvoll – aber auch gefährdet. Wenn wir mit der Sexualität nicht achtsam und wertschätzend umgehen, verliert sie schnell ihre eigentliche Bedeutung. Das wäre eine Katastrophe für unser ganzes Menschsein, denn kein Mensch kann ohne Liebe leben. Was aber, wenn wir diese Liebe nicht mehr ausdrücken können, weil unsere Sprache ihre Bedeutung verloren hat?

Manchmal ärgern sich Menschen über das, was sie dann »Sexualmoral« nennen. Sie glauben, dass jemand Gebote und Verbote aufgestellt hat, um ihnen den Spaß und die Freude an der Sexualität zu verderben. Dabei geht es in der Moral (und auch in der Sexualmoral) darum, etwas Gutes und Wertvolles zu schützen – also darum, Freude und Spaß (langfristig) zu erhalten und nicht (kurzfristig) zu vermiesen.

Es gehört aber schon ein großes Wohlwollen und Vertrauen dazu, in den Sorgen und Vorschriften der Eltern, der Lehrer und der Kirche diese gute Absicht zu erkennen: Weil sie es gut mit uns meinen, wollen sie unsere Sprachfähigkeit der Liebe erhalten. Und deshalb Regeln aufstellen, die uns vielleicht nicht immer gefallen.

 

Eine erfüllte Sexualität

Es gibt Ratgeber und Produkte für eine erfüllte Sexualität. Diese setzen auf neue Techniken, Lustmittel und Praktiken und verkaufen diese für viel Geld. Das wäre so, als wenn es einen Service für Verliebte gibt, die ihnen vorgeben, wie man dem anderen am schönsten »Ich liebe dich!« sagt, ohne den Inhalt – die Liebe selbst – zu berücksichtigen.

Wer erkennt, dass Sexualität eine Sprache ist, der wird dann die tiefste und erfüllteste Sexualität finden, wenn er dadurch wahre und wirkliche Liebe ausdrücken möchte. Zuerst muss aus Verliebtheit Liebe werden, und aus einer tiefen Liebe eine große Liebe. Erst dann kann die Sexualität in ihrer ganzen Fülle Ausdruck dieser Liebe sein.

Manche Paare suchen einen Paartherapeuten auf, weil sie die Freude an der gemeinsamen Sexualität verloren haben. Das ist dramatischer, als manche glauben – weil das ein Zeichen für eine einschlafende Liebesbeziehung ist. Da helfen keine Sexspielzeuge – sondern nur ein neues Bemühen um die Liebe zum anderen Menschen!

In diesem Sinne hat auch die katholische Kirche kein anderes Ziel als eine erfüllte Sexualität.

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